Vitrine Schriftliche Schülererinnerungen

 

 

Karl Scheble

Bewegte Zeit am Dillinger Gymnasium

Karl Scheble berichtet von seinen Erlebnissen am Sailer-Gymnasium Dillingen
1942 – 1951

Es war Kriegszeit in Deutschland. Unsere Familie wohnte in Donaualtheim. Die nahe gelegene
Kreisstadt Dillingen war leicht mit dem Rad zu erreichen und mir deshalb von vielen
Besorgungen vertraut.
In der Klasse 1c begann die Schule am 2. September 1942.
Nicht bekannt waren mir natürlich die Mitschüler und die Lehrer am Gymnasium. Während
der Kriegsjahre waren viele von den Erziehern zum Wehrdienst eingezogen worden.
Wir 35 Buben haten in der Klasse 1c den unvergessenen Lehrer Matthias Ostermaier (1895-1945) als Klassenlehrer im Fach Englisch. Er unterrichtete uns bereits in den ersten Schultagen
mit erzieherischer Strenge in diesem Fach. Wir spürten aber auch früh seine väterliche Hand bei der gerechten Notengebung und im Unterricht.

Zum Dillinger Gymnasium fuhr ich stets mit dem Fahrrad. Im kleinen Hof neben der Gaststäte „Zum Mondschein” waren einige Dutzend Fahrräder abgestellt. Es gab damit nie Schwierigkeiten, wenn nicht ein Schlauch platt war oder der über- bzw. untergelegte Reifen nicht mehr dicht hielt. Während des Krieges erhielt man kaum einen neuen Reifen oder
Schlauch. Wir waren es daher gewohnt, die Löcher zu flicken und hatten auch beim Aufpumpen Routine.

Mit den 34 Schulkameraden (nur Buben) kam ich gut zurecht. Mein Cousin war als Seminarschüler auch dabei. Sieben unserer Mitschüler wohnten im Seminar, neun im Städtischen Schülerheim, das Herr Wald leitete, ein „Bannführer“, der oft in Uniform
aufkreuzte. Wir hatten ihn ab Mitte des Jahres im Fach Englisch, weil unser Klassenleiter Herr Professor (so nannte man alle Lehrer) Matthias Ostermaier erkrankt war.
Während dieser Schulzeit gab es jährlich drei Zeugnisse. Das Weihnachtszeugnis gab es am 12. Dezember 1942, das Osterzeugnis am 15. April 1943, das Dr. Viktor Gebhard in Vertretung
unterzeichnet hatte. Das Jahreszeugnis vom 14. Juli 1943 trug wieder die Unterschrift des Klassenleiters Ostermaier und des Schulleiters Weinrich.  Für Religionslehre war ein eigenes Zeugnis ausgestellt.

In der Klasse 2c ab 25. August 1943 war wiederum Matthias Ostermaier unser Klassenleiter und weiterhin Fachlehrer in Englisch für die 37 Schüler. Durch die Kriegswirren war der Schülerwechsel enorm, manche gefährdeten Schüler gingen
auch wieder ins Elternhaus zurück. Sie kamen aus fast ganz Bayern an die für auswärtige Schüler mit 5 Seminaren ausgestattete Schule. Die 19 Mädchen (die meist in den b-Klassen untergebracht waren) wohnten bei den Eltern oder bei Verwandten in der Stadt.

Ab 5. September 1944 kam ich in die 3a mit 55 Schülern, die mit der 3b zusammen 110 Schüler zählte (mit 20 Mädchen). Aus unserer Schülersicht war es erfreulich, dass damals so oft die Schultage verkürzt wurden.
Die Luftangriffe auf das Deutsche Reich nahmen täglich zu.

Die Flugzeuge hatten unser Gebiet bisher nach Osten überflogen und kehrten auf dem gleichen Weg zurück. Aber nun waren Nachbarstädte bombardiert worden: Stuttgart, Augsburg, Ulm und Donauwörth. Der Luftschutzkeller im Stifsgarten (Brauereikeller) war
stets randvoll. Es fiel nicht auf, wenn Stadtschüler nach Hause gingen. Mit dem Rad fuhren wir heim, sobald die Sirenen heulten.
Anfangs blieben Schulsachen auf den Bänken, jetzt packten wir sie zusammen und beobachteten die feindlichen Geschwader bei guter Sicht. Das Dröhnen der Motoren in der Luft hörte nicht mehr auf. Nachts war der Himmel gespenstisch hell erleuchtet und oft sahen
wir Leuchtkugeln. Erschien ein Feuerzeichen, „Christbaum“ genannt, wusste man, dass die Bomber am Ziel angelangt waren. Bald darauf hörte man dann die Bomben fallen.
1942 soll es über Lauingen einen Notabwurf gegeben haben. Brandbomben zerstörten 47 Häuser.

1945 begann der Unterricht erst nach Weihnachten am 15. Februar, um Holz und Kohlen zu sparen. Ähnlich war es Ostern, die Ferien dauerten vom 24. März bis 17. April. Kaum jedoch waren wir in der Schule, heulten wieder die Sirenen. An Unterricht war nicht mehr zu denken.
Am Sonntag, 22. April, fuhren mittags amerikanische Panzer durch unser Dorf Donaualtheim nach Dillingen. Eine riesige Detonation gegen 11.00 Uhr bedeutete, dass die Lauinger Donaubrücke gesprengt worden war. Die Fensterscheiben klirrten. Wir gingen in unseren Hauskeller und hörten Maschinengewehre rattern. Trotzdem lugten wir hervor. Die
Amerikaner bezogen auf beiden Seiten der Straße Quartier. Nachrichten von den deutschen Soldaten kamen nicht mehr an, Zeitungen wurden vermisst. Die gesamte Produktion stand
still. In den folgenden Wochen hörten wir, dass Lehrer mit Parteibuch nicht mehr unterrichten durften.

Erst am 9. Januar 1946 begann wieder die Schule unter Leitung des neuen Schulleiters Siegfried von Klessing. Unser ehemaliger Klassenleiter Matthias Ostermaier lebte nicht mehr. Als Dolmetscher hatte er in der Haenle-Villa beim Kommandeur fungiert und von der
Besatzungsmacht sein Parteischicksal erfahren. Er wählte den Freitod.
Nur wenige Lehrer durften eine Klasse führen. Es waren Dr. Johann Myrthek, Franz Pichlmayr, Martin Fink, Thomas Stegerwald, Alois Rauchensteiner und Hans Müller.

In der Klasse 4b waren wir 43 Schüler, davon 13 Mädchen. Das Schuljahr dauerte bis Juli 1946.

Am 3. September 1946 blieben wir in derselben 4b bei 41 Schülern, davon 9 Mädchen. Nur solche Schüler konnten vorrücken, die durch Fachprüfung in Englisch und Latein nachwiesen, dass sie weitergelernt hatten. Es war ein allgemeines Wiederholungsjahr angesetzt, das bis
Juli 1947 dauerte.

Ab 2. September 1947 rückten wir in die 5b mit insgesamt 842 Schülern (davon 9 Mädchen) vor.

Die folgenden Jahr waren:
1948/49 Klasse 6b 40 Schüler, davon 10 Mädchen.

1949/50 Klasse 7b, ca. 45 Lernbeflissene.
In der Schule gab es viel zu tun. Fremdsprachen, Englisch und Latein, Sachfächer, von denen
wir in unserer Volksschulzeit nicht einmal Grundbegriffe gelernt hatten, mussten gebüffelt werden. Lediglich in Deutsch und Mathematik hatten wir beste Grundlagen mitgebracht.

Tanzkurs am Gymnasium
Wir waren 18 Jahre alt, konnten aber nicht tanzen. Im September 1949 wollten wir es am Dillinger Gymnasium lernen. So beschlossen wir sieben Schüler einen Tanzkurs mit einem Augsburger Tanzlehrer zu organisieren und gingen auf Partnersuche. Am Dienstag, den 13. Oktober 1949 abends trafen wir uns erstmals im Hofbräusaal. Insgesamt nahmen sieben Paare nahmen teil, die Männer waren Schüler der siebten Klasse
am Dillinger Gymnasium. Die ersten Schritte auf dem Parket bereiteten keine
Schwierigkeiten.
Wir lernten Walzer und Foxtrott kennen und wiegten uns im Tango ebenso wie beim damals
üblichen Samba. Bis 5. November waren die Standardtänze gelernt.
Mit einer Polonaise wurde der Tanzkursabschlussball am 6. November 1949 sogar mit einer
kleinen Tanzkapelle in Anwesenheit der Eltern eröffnet. Es war ein für alle Teilnehmer
harmonisch verlaufener Tanzkurs geworden, bei dem zwar nach damaligen Notwendigkeiten
überall gespart worden war, für die Partnerin gab es nur einen Strauß Nelken und ein kleines
privates Geschenk. Um keine Steuern zahlen zu müssen, haten wir den Ball nicht angemeldet.
Ca. 23:30 Uhr kam die Polizei, wir mussten unser Fest sofort beenden – Sperrstunde! Nach
einem Abschlusstanz gingen wir mit unseren Eltern nach Hause.
Außer den Kosten für die Musikkapelle und den Tanzlehrer waren wir finanziell günstig
davongekommen. Klassiktänze und auch moderne Tänze (Walzer, Tango, Rumba, Samba)
haten wir gelernt. Übungsmöglichkeiten haten wir aber nur wenige, weil uns in der
Abschlussklasse am Gymnasium viele Stunden Lernarbeit erwarteten.

Listen und Matrikelbücher mit Schülerstatistik liegen über die Jahre 1947 – 1949 nicht vor. Die
Amerikaner haten das Haus bezogen und zahlreiche Schulmaterialien aus dem Fenster
geworfen.

Im letzten Jahr besuchten wir die Klasse 8b mit 21 Schülern und 3 Mädchen. Im Jahresbericht
1951/52 ist vermerkt, dass 1950 insgesamt 564 Schüler und 1951 573 Schüler die Schule
besuchten.

1950 gab es 36 Abiturienten und 10 Abiturientinnen und im folgenden Jahr, also 1951,
41 Männer und 3 Frauen.

Im Jahr 1950 fand die 400-Jahrfeier unseres Gymnasiums
statt. Das wurde mit einem großen Fest gefeiert, wir wirkten als Sänger mit.

Im folgenden Jahr wurden wir nach der Abiturfeier am 17. Juli 1951 mit dem Reifezeugnis aus
der Schule entlassen.

Abitur am Dillinger Gymnasium
In 11 Fächern wurden am Gymnasium Prüfungen für den Abiturabschluss gefordert.
Es gab eine Menge zu lernen. Mit einem Kollegen aus Dillingen saß ich oft über Mitternacht
hinaus entweder bei uns oder bei dessen Mutter. Oft brachte uns die Mama meines Kollegen
ein Stück Butterbrot, Milch oder andere Getränke mit der Zusatzfrage: “Hört ihr heute
überhaupt nicht mehr auf zu lernen?”. Das gegenseitige Abfragen in vielen Fächern war für
einen geordneten Überblick wichtig.
Die Prüfungen fanden kurz hintereinander schriftlich und teilweise auch mündlich stat. Der
Stoff war sehr umfangreich, die Anforderungen hoch.
Im Speisesaal des Priesterseminars schrieben alle 44 Schüler und Schülerinnen ihre Arbeiten.
Oberstudiendirektor Siegfried von Klessing ließ zwei, teilweise auch drei Aufsichten Wache
halten, meist war er selbst dabei. In der Frühe ertönte immer der Ruf “Reifeprüfung
neunzehnhunderteinundfünfzig”, oft kontrollierte er die Toiletten, sogar die Klodeckel hob er
an. Damit man nicht abschreiben konnte, waren die Plätze einzeln verlost worden und weit
auseinandergestellt.

Mit dem Abitur im Juni 1951 war für uns eine große Hürde genommen. Danach lud uns der
Religionslehrer Rudolf Schmid zu einem dreitägigen Nachdenken in Form von Exerzitien nach
Fürstenried ein. Es waren ruhige Tage zum Überlegen, wie die Zukunft aussehen sollte. Viele
Abiturienten nahmen teil und waren von den Ausführungen begeistert.

Eine recht düstere Kriegszeit lag hinter uns und eine große Zukunft mit vielen Chancen vor
uns. Jeder nutzte sie auf seine Art.